Ausgangssperre in Bangalore / Streik in Chennai

(Samstag 10. bis Samstag 17. September 2016)

 

Am frühen Samstag Morgen warteten wir im Flugzeug von Chennai nach Bangalore, das – wie uns am Abend vorher telefonisch verkündet wurde – 20 Minuten früher abheben sollte. Alle waren bereit, als der Pilot sich meldete, dass wir 45 Minuten warten müssen, weil der ganze Luftraum für die Ankunft des Präsidenten gesperrt werde. Trotzdem erreichten wir Bangalore dann zur ursprünglich angegebenen Zeit. So etwas passiert nur in Indien 🙂

img_7731b img_7737b Ein Fahrer erwartete uns und brachte uns ins Hotel. Nach einem Mittagessen sah ich endlich mal etwas mehr von Bangalore. Meistens war ich nur zum Arbeiten hier, nur einmal war ich tagsüber auf Touristentour. Heute spazierten wir durch den bekannten Lalbagh Park, ein normaler Park mit Bäumen, Blumen, Teichen und vielen Menschen. Ich genoss die herrlichen Temperaturen, die massiv unter denen von Chennai lagen. Wir konnten gemütlich draussen spazieren, ohne sofort zu schwitzen. Es war ca. 28 Grad (gefühlt und tatsächlich). In Chennai ist es jeweils wegen der Feuchtigkeit einige gefühlte Grad heisser. Im Park fragten mich zwei Mädchen nach einem Foto und sofort versammelte sich die gesamte Familie um mich herum. Schnell spazierten wir danach weiter, mir ist immer noch nicht wohl in meiner auffallenden Rolle.

Der nächste Stop war Brigade Road, eine Einkaufsmeile vor allem für Studenten. Da waren kleine Strassenläden wie auch bekannte Marken. Die Strasse war eher kurz, aber stark belebt mit jungen Indern und Ausländern. Alle schlenderten gemütlich durch die Strassen, niemand störte sich über zu heisse Temperaturen.

Zum Abendessen hatten wir uns mit einigen Freunden aus Bangalore verabredet, es gab img_7826bTischgrill und Bier à discretion, sehr lecker, sehr viel! Eigentlich wollten wir nach Hause laufen, bei diesen Temperaturen (ja, ich genoss es wirklich sehr!), aber nach 200m setzte starker Regen ein und wir schnappten uns eine Riksha.

Der Flug unserer Kollegen von Chennai am Abend war auch eher nass, das Wasser war sogar im Flugzeug drin zu sehen, aber dieses Problem war schnell “behoben”.

Mit einem grösseren Auto vor dem eigentlichen Verkehr erreichten wir am Sonntag zu viert den Banerghetta National Park und wurden sofort von einer Schulklasse belagert, die Dutzende (!!) Fotos von uns Weissen machten. Mir war dies eher unangenehm, meine zwei anderen weissen Kollegen hatten das noch nicht so oft gesehen und genossen diese Aufmerksamkeit. Trotzdem war uns allen nicht klar, was mit diesen Bildern danach geschieht….

Der Park und auch die Safari waren empfehlenswert, aber die Zustände in den Käfigen im Zoo stimmten mich nachdenklich. Die Tiere in Zürich haben klar die besseren Gehege und Behandlung. Hier waren immerhin Renovationen im Gange, es besteht also noch Hoffnung.

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Den Rest des Tages verbrachten wir mit Essen und Faulenzen am Pool bei angenehmen Temperaturen, gefolgt von einem absolut leckeren Essen bei meinem Lieblingssushikoch!

Montag war dann wieder Büro angesagt, wieder einige bekannte Gesichter, viel Neues, zu Planen, zum Umsetzen – kurz: viel (neue) Arbeit. Mitten am Tag wurde dann das Urteil in einem länger andauernden Streit zwischen Karnataka (Staat von Bangalore) und Tamil Nadu (Staat von Chennai) bekannt gegeben und wir mussten um 17 Uhr fluchtartig das Gebäude img_7795bverlassen. Auf den Strassen sahen wir schon Überreste von verbrannten Reifen und Massenansammlungen, die den Verkehr blockierten. Die meisten Läden waren bereits geschlossen. Kaum zu Hause im Hotel zeigten die Nachrichten, dass in Bangalore Busse eines Tamils angezündet wurden und wie Autos mit Tamil Nadu Kennzeichen attackiert wurden. Es wurde Sektion 144 ausgerufen, Ausgangssperre, Schliessung der Geschäfte, Ansammlungen von mehr als 4 Personen waren verboten, die Polizei patroullierte und auch die Armee wurde zur Hilfe gerufen. Es sah schlimm aus im TV und mit dem Wissen, dass es nur wenige Kilometer von mir entfernt ist, war es noch extremer. Wie erwartet kam dann noch eine Email, dass unser Büro (wie viele andere auch sowie Schulen etc.) am nächsten Tag geschlossen bleiben. Mehr konnten wir heute nicht mehr in Erfahrung bringen.


Die Gründe für die Ausschreitungen sind in etwa folgende (bitte nicht darauf behaften! Was ich hier schreibe, ist was ich von Kollegen, TV und Zeitungsberichten erfahren habe und ist nicht verifiziert!)

Der Fluss Cauvery fliesst von Karnataka nach Tamil Nadu und dort ins Meer. Vor allem in den Sommermonaten führt er jedoch sehr wenig Wasser. Die Bauern in Karnataka und auch in Chennai leben vom Fluss, das heisst sie beziehen ihr Trinkwasser sowie Wasser für die Tiere und auch für ihre Felder vom Fluss. In der Trockenzeit, wenn kaum Wasser da ist, streiten die Bauern seit über 100 Jahren, wieviel Wasser noch im Fluss sein muss, wenn er nach Tamil Nadu fliesst.

Ein Gericht hatte kürzlich beschlossen, dass diese Menge bei 15‘000 Cusec (cubic feet per second / 28.317 Liter pro Sekunde) festgesetzt wird. Die Menschen in Karnataka waren damit nicht einverstanden und haben das Urteil an ein höheres Gericht weitergezogen, um die Menge auf 10‘000 zu reduzieren. Tamil Nadu hätte gerne 20‘000. Zu beachten ist, dass die Bauern in Karnataka kein Wasser für die Landwirtschaft (Felder und Tiere) haben, die Bauern in Tamil Nadu aber kein Trinkwasser haben gemäss der aktuellen Situation.

Diesen Montag kam dann das revidierte Urteil, wo eine Reduktion auf 12‘000 beschlossen wurde. Damit waren einige natürlich nicht einverstanden und so rief eine Partei ihre Anhänger auf, in den Strassen zu protestieren. (Wohlgemerkt: Es waren nicht die Bauern, die auf der Strasse protestierten)

Wir erhielten eine Email, dass die Situation unsicher ist und Autos mit Kennzeichen des anderen Staates nicht auf die Strassen sollten. Tatsächlich haben wir im TV Menschen gesehen, die in Bangalore Autos mit TN Kennzeichen umgeworfen, mit Steinen beworfen und zum Teil sogar angezündet hatten.

Im TV wurde auch gezeigt, dass die Chief Minister der beiden Staaten sich gegenseitig Briefe schrieben und die Sicherheit der Bewohner des anderen Staates im eigenen Staat garantierten. Ich sah aber keine Anzeichen, dass sich jemand von denen mit den anderen an einen Tisch setzen wollte. Bald hatten sich auch Berühmtheiten wie Filmstars via facebook eingeschaltet und um Ruhe gebeten. Mit solchen Aktionen lasse sich das Problem nicht lösen. Ebenfalls auf facebook kursierten Sprüche wie dass der Norden nun endlich mal merke, dass es im Süden auch mehr als einen Staat gebe (Man erinnere sich an die gleichen Sprüche, als Schweiz gegen Schweden im Eishockeyfinal spielte). Oder man soll, wenn auf der Strasse angesprochen, „Ariyilla chetta“ antworten, das heisst „Ich weiss nicht, Bruder“ auf Malayalam (aus dem Staate Kerala, der hier unbeteiligt ist); so bleibt man unbeteiligt und sicher. Tatsächlich hörte ich trotz den vielen Protesten nur von einem Todesopfer, einem Protestler, der von der Polizei erschossen wurde. Eine weitere Person wurde verletzt.

https://en.wikipedia.org/wiki/Kaveri_River_water_dispute


img_7806bDer Dienstag Morgen begann ruhig, die Strassen sahen leer aus, ab und zu hörte ich ein Militärflugzeug tief fliegen, alles in allem ruhig. Die Nachrichten wurden ruhiger, berichteten weniger reisserisch und gegen Mittag wechselte das Hauptthema von Bangalore zu Delhi. Trotz der Ankündigung, dass keine Taxis/Uber/Hotelfahrzeuge/Rikshaws fahren dürfen, schafften wir es irgendwie, einen Fahrer aufzutreiben, der uns am Abend an den Flughafen bringen kann, damit wir wie geplant zurück nach Hause fliegen können. Die Strassen waren so leer wie noch nie in Bangalore!

 

Nachdem die Menschen in Karnataka protestiert hatten, entschieden sich die Leute in Tamil Nadu zu streiken. So wurde am Donnerstag Mittag verkündet, dass die öffentlichen Verkehrsmittel und Taxis etc am Freitag während 12 Stunden nicht fahren und Läden geschlossen bleiben. Wir informierten das Team, dass sie entweder von zu Hause aus arbeiten, einen Tag frei nehmen oder am Samstag ins Büro kommen können. Erstaunlicherweise wollte niemand am Samstag kommen.
Da uns Coaches verboten wurde ins Büro zu kommen, bereiteten wir uns auf einen Tag Home Office (mit langsamem Serverzugriff!) vor. Auch das hat Vor- und Nachteile.
Die Vorsichtsmassnahmen in Bangalore, dass sich nicht mehr als 4 Personen versammeln dürfen (ist eh noch schwierig wenn überall Menschen sind!), wurde um eine Woche verlängert und es wurde geraten, auf (Auto-)Reisen in den anderen Staat zu verzichten. Ich glaube ich werde meine nächste Bangalorereise weit hinausschieben.

Es wird wohl noch einige Tage dauern, bis da eine Lösung gefunden wird…

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