Innert kürzester Zeit heirateten zwei in unserem Team. Eine an einem frühen Sonntag Morgen, etwa 6 Zugstunden von Chennai entfernt, weshalb ich mich gegen eine Teilnahme entschieden hatte. Die zweite an einem Mittwoch Morgen, neben einem Tempel in Chennai. So gab ich dem ganzen Team frei, wer an der Hochzeit dabei sein wollte. Die zwei Coaches erhielten Vestis/Dothis, d.h. eine Art Tuch zum umbinden, anstelle von Hosen. Mir wurde gesagt, ich solle bitte im Saree kommen. Leichter gesagt als getan, klagte ich mein Leid an der Rezeption im Hilton. Spontan rief Sahil dann Nira an, die am nächsten Morgen Dienst hatte und selbstverständlich gerne bereit war, mir meinen Saree umzubinden. Somit war meine Entscheidung gefällt worden, ohne mein direktes Zutun. Aber ich konnte ihnen ja diese Freude nicht verwehren.
Nira hielt ihr Versprechen und nach 30 Minuten hatte ich den Saree so gut wie noch nie umgebunden. Eine Halskette und Armreifen (Bangles) hatte ich noch vom letzten Mal. Ungewöhnlich gestylt zeigte ich mich noch kurz bei den Jungs im Restaurant, bevor ich dann an der Rezeption auf meine zwei Kollegen wartete, die sich erstaunlich schwer taten mit dem Dothi. Dank einem Geheimtipp von den Jungs an der Reception (Gürtel) schafften es aber auch diese beiden, typisch indisch gekleidet zu erscheinen. Wir waren die Hauptattraktion in der Empfangshalle.
Etwas ungeschick setzte ich mich ins Auto, kurz darauf waren wir als eine der ersten am Hochzeitsort. Sofort kamen Mutter und Bruder der Braut, um uns zu begrüssen und führten uns in den Esssaal für’s Frühstück. Obwohl ich eben erst gegessen hatte, konnte ich den auf einem Bananenblatt dargebotenen Leckereien nicht widerstehen. Draussen war die Braut angekommen, geschminkt, geschmückt und herausgeputz wie es sein soll. Ich erkannte sie kaum wieder. Es erschienen neben unserem Team auch noch zwei Ehemalige, eine davon hatte ich seit April nicht mehr gesehen. Mit viel Musik im Hintergrund erschien der Bräutigam für einige Zeremonien, dann wechselte die ganze Gesellschaft in den Saal. Wir suchten uns Plätze ganz hinten, trotzdem kam immer mal wieder jemand und fragte nach einem Foto von uns drei Weissen. Auch unser Team machte unzählige Fotos. Mittlerweile hatte ich mich schon fast (nur fast!) daran gewöhnt, was man von der Hitze leider nicht sagen konnte. Alle hatten eine mehr als nur glänzende Stirn. Trotzdem hatten wir Spass. Irgendwann konnten wir dann endlich ein Foto mit dem Brautpaar machen, die ganze Gruppe füllte die Bühne vollends. Wir drei Coaches wurden dann gebeten, für ein weiteres Foto mit dem Brautpaar zu bleiben. Einmal mehr fühlte ich mich als VIP an einem Anlass. Heute war ich aber darauf vorbereitet und lächelte brav in die Kameras.
Während der Rest des Teams noch auf das Mittagessen wartete (mindestens eine Mahlzeit müsse da gegessen werden), kehrten wir ins Büro zurück für ein Meeting mit dem Team in der Schweiz. Diese waren wohl eher überrascht, als wir plötzlich das Video einschalteten und die angebliche Bürokleidung präsentierten.
Währenddessen ging die Geschichte mit dem Geld weiter…. Anscheinend waren nur etwa 125’000 Geldautomaten in ganz Indien funktionstüchtig (bei 1 Mia Menschen!), die meisten davon in Stadtgebieten. Wie sollten nun die Landbewohner zu Geld kommen? Jede Person durfte nur INR 2000 (CHF 30) pro Tag abheben und INR 4000 pro Tag umtauschen. Aber die Schlangen vor den Banken und den wenigen funktionierenden Automaten schreckten mich immer noch ab. Ich bezahle alles mit Karte, aber ich habe auch kaum Auslagen hier. In Delhi stünden sie von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends an und waren noch immer nicht in der Bank drin. 40 Menschen seien bereits umgekommen, während sie in der Hitze in Schlangen standen. Es wurde berichtet von Arbeitgebern, die ihre Tageslöhner nicht bezahlen konnten, weil ja nicht genügend Bargeld vorhanden war. Diese wiederum konnten sich so kein Essen kaufen. Andere hatten extra einen grossen Geldbetrag abgehoben für eine Operation in einem Privatkrankenhaus, als dann über Nacht das Geld für ungültig erklärt wurde.
Ehefrauen, die während Jahren Geld aus dem Geldbeutel des Mannes nahmen und zu Hause versteckten (das sei hier üblich), mussten das so Gesparte offenlegen. Die Frau eines Kollegen hatte so 500’000 Rupien (CHF 7’400) angespart, ohne dass der Ehemann etwas davon wusste. Bis zu diesem Betrag sollte es aber keine Probleme geben bei der Einkommenssteuer, wurde mir gesagt.
Der Geldautomat im Erdgeschoss des Büros funktionierte an den meisten Tagen nicht. Als dann endlich mal Geld eingespiesen wurde, war die Empfangshalle wegen einer langen, gewundenen Schlange kaum passierbar. Arbeitskollegen standen über eine Stunde an, um etwas Geld abzuheben (hoffentlich nicht auf Arbeitszeit).
Plötzlich kam dann die nächste Nachricht: Geld umtauschen sei nicht mehr möglich, nur noch einzahlen. Dies konnte ich noch nicht überprüfen, aber ich werde wohl meine 5’000 Rupien (CHF 74) bald mal noch loswerden müssen. Das wird sicher spannend!
Nach einer weiteren Halsentzündung und zwei Tagen zu Hause im Bett (mit einer Gute-Besserungs-Karte vom Hilton) fand am Freitag der EY Family Day statt. Eltern, Kinder und andere Verwandte der Mitarbeiter waren eingeladen, ins Büro zu kommen. Zwei aus meinem Team probten für einen Tanzauftritt, der sehr gut war (und wo ich am Schluss auch noch mittanzen musste). Für die Kinder wurde ein gutes Programm geboten. In der Kantine gab es Popcorn und andere Süssigkeiten sowie eine Fotoecke (ohne geht nicht!). Ich lernte Familien meines Teams kennen. Eine erzählte den Eltern stolz, dass ich sogar Tamil spreche, übersetzte aber jeden Satz, den ich sagte, in akzentfreies Tamil. Ich werde also noch üben müssen!
Am Wochenende konnte ich endlich mal wieder an den Strand gehen. Bernhard liess sich überreden und so hatte ich gute Begleitung beim Joggen. Es war trocken und kühl, angeblich der trockenste November seit 200 Jahren (nach dem Jahrhunderthochwasser letzten Dezember), perfekte Temperaturen für einen frühen Morgenlauf, 22 Grad. Bernhard spornte mich an, so fiel dieser Lauf länger und schneller aus als meine einsamen, ein gutes Training für den Wettkampf in zwei Wochen!
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